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DER sparte4 KETTENBRIEF*:

n°1 (23/24): DER LANGE WEG ZUM WISSEN

   

MÄGDE! BUBEN! 

We're back!

Nach sechs heiß-trockenen Ferienwochen, vollgestopft mit Faulenzerei und Prokrastination, melden wir uns zurück und knallen auch gleich mit der Tür ins Haus, wo ja am jetzt kommenden Sonntag bereits unsere diesjährige Eröffnungspremiere stattfindet! Wie die Jahre zuvor war es der sparte4 dabei wichtig, eine Regiehandschrift zu suchen, die so individuell und quirky wie klug und unterhaltsam ist - gleichsam um (wie schon die Spielzeiten zuvor) aufs Neue zu beweisen, dass das Theater eben kein nostalgisch-totes Medium ist, dessen Spielplan einzig aus Titeln sich zusammensetzt, auf die man sich dann freut, weil man sie alle schon fünf- bis achtzehnmal gesehen hat, sondern eben Quicklebendig-Jetziges, vor allem als Hort der neuen Erfahrung, wie die sparte4 es stets für euch sein wollte und auch bleiben soll. 

Unsere Wahl fiel in dieser Saison auf das Kollektiv für angewandte Literatur ULRICHSundGROSCHEN, bestehend aus Katharina Grosch und Emma Ulrich, die als Schreibduo nach eigener Auskunft Texte schreibt, "an denen man sich wärmen kann". In ihrem Gründungsmythos heißt es: "Am Anfang war das Wort und das Wort bei Grosch und das Wort war Grosch. [...] Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist." ULRICHSundGROSCHEN ist eine Erfolgsgeschichte kleiner Leute als Legende, als Gründungsmythos, der "sich hechelnd, über lückenhafte Texte gebeugt hin und her erzählt wird." Soviel zur Arbeitsweise. Vor allem aber ist ULRICHSundGROSCHEN eine "Geschichte über die Liebe zum Scheitern. Aus Haushalten kommend, in denen Jesus zitiert, gesungen, püriert und gejoggt wurde, sind [Grosch und Ulrich] doch genau das, was man Kinder von völlig abnormalen Angestellten nennen würde. Darauf muss man sich nichts einbilden, dafür muss man sich aber auch nicht schämen, das muss man nur bekämpfen", heißt es auf ihrer Homepage

In ihrem neuen Stück DER LANGE WEG ZUM WISSEN beschäftigt sich das Kollektiv mit der Legende um Neil Armstrong, diesem ersten aller amerikanischen Helden, und seiner Weltraummission - dem ersten bemannten Flug zum Mond, der im Übrigen auch auftritt, und "als einsamer Trabant" dazu verdammt ist, "zu wahren einen gewissen Abstand". 400.000 Kilometer um genau zu sein. Dabei geht es ULRICHSundGROSCHEN weniger (bzw. nur nebensächlich) um die bloße Nacherzählung einer wissenschaftlich-technischen Glanzleistung und Heldentat, vielmehr ist es dem Kollektiv um die Frage nach dem Wissen zu tun: dem Wissen, das notwendig war, alle drei Astronauten einmal zum Mond zu schicken und safe wieder zurückzubringen, und dem Wissen ganz im Allgemeinen: was ist das eigentlich - Wissen. Wie entsteht es? Wie verbreitet es sich? Wie setzt es sich fort? Und wenn sich sagen lässt, dass gerade alles schon gewusst wird auf diesem Planeten, dass die Gesamtheit der Menschheit über jegliches gewusste Wissen verfügt, dass die Menschheit alles gewusste Wissen ja gerade weiß - wie kommt es dann, dass wir immer noch Fehler machen? Sollten wir nicht klüger handeln? 

Oder wie Buzz Aldrin das im Stück ausdrückt: "Wir sind Gefäße und Ballons voll von Wissen. Und manchmal. Da frage ich mich, da zweifle und verzweifle ich. Weil ich denke. Weil wir als Menschen, also wir als MENSCHHEIT, also wir drei plus alle. Also alle alle. Alle auf der Erde. Also, alle auf dem Planeten, den wir abgestoßen haben, der uns abgestoßen hat plus wir. Wir alle, wir wissen auch alles. [...]"

Woraufhin Mike Collins antwortet: "Bis zum Fortschritt eben. Alles bis zum Fortschritt wird gewusst."  

   


Im weiteren Verlauf dieses Himmelfahrtskommandos zwischen Neugier, Wahnwitz, Depression, Klugscheißerei und hochgradig amüsanten philosophischen Ergüssen treten neben den Astronauten Armstrong, Aldrin und Collins auch die Amygdala (unser Angstzentrum), der Präfrontale Cortex (Sitz unserer Vernunft) und der Hippocampus als Speicherzentrum und Sitz sämtlicher Gedächtnisinhalte auf, und beteiligen sich an der kollektiven Überlegung. Denn soll auch eine theatrale Forschungsreise werden in die Weiten des menschlichen Gehirns, das in die ewige Dunkelheit des Schädels gehüllt, nach wie vor mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet.

Die stückbetreuende Dramaturgin Simone Kranz traf Katharina Grosch und Emma Ulrich zum Gespräch: 

Simone: In eurem Stück geht es um Apollo 11 und die erste bemannte Mondlandung von 1969. Was interessiert euch an diesem Stoff?

ULRICHSundGROSCHEN: Wir sind zwei dreißigjährige Frauen. Das bedeutet, dass wir mit diesem Ereignis, dass wir da ausgewählt haben, über etwas sprechen, was wir selbst nicht miterlebt haben. Wir greifen auf Erinnerungen zurück, die nicht unsere sind. Die Mondlandung ist ein historisches Ereignis und emotional sehr aufgeladen. Menschen, die wir kennen, die älter sind als wir, erzählen uns davon, wie sie die Mondlandung erlebt haben. Das hat uns interessiert und bildet schon den Kern der Frage, die uns überhaupt zum Schreiben dieses Stücks gebracht hat: Wie konstituiert sich Wissen?
Gerade die Mondlandung ist ja ein Ereignis, bei dem jeder auf der Welt hundertprozentig Mensch sein darf, auch die, denen man das sonst vielleicht abspricht, denn es heißt ja: Wir waren auf dem Mond. Der Mensch ist dazu in der Lage! Und die Freude und das Staunen darüber darf von allen Menschen auf der Welt geteilt werden. Das ist natürlich total zu hinterfragen, schließlich war die Mondlandung Teil der Dynamik des Kalten Kriegs aus Wettrüsten, Drohgebärden und vorgetäuschter Stärke. Aber uns hat interessiert, welche Rolle das kollektive Gedächtnis einnimmt, bei der Bereitstellung von Wissen.

Ihr geht das Thema sehr phantasievoll und spielerisch an. Die Astronauten sind fast kindliche Wesen, die mit ihrem eigenen Gehirn sprechen und versuchen, sich nicht von ihren Ängsten überrollen zu lassen. Gleichzeitig sind in den Text wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten eingeflochten.

Jaja, wir sind neugierige Frauen. Wir versuchen, uns selbst immerzu in Verbindung zu bringen mit dem Wissen, der Welt und dem Theater. Den Mythos der Mondlandung verbindet man vor allem mit dem Astronauten Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betreten hat. Die Namen der beiden anderen Astronauten gerieten in Vergessenheit. Im Hintergrund der Mission agierten Personen, deren Namen heute kaum geläufig sind. Wird eurer Meinung nach das Narrativ, das zu Ereignissen im kollektiven Gedächtnis abgespeichert wird, gesellschaftlich gesteuert? - Der Ausdruck „gesellschaftlich gesteuert“ ist etwas heimtückisch. Da vermutet man ja direkt eine Verschwörungstheorie oder -Praxis. Aber wir sind ja Gesellschaft. Auch. Wir sind eine Masse von kleinen Menschen mit fehlerhaften Gedächtnissen. Und leider ist es so, dass sich das Wissen über Epochen und Ereignisse verengt, und bestimmte Ereignisse an einzelnen Personen festgemacht wird. Ein Narrativ entspringt ja aus einer Geschichte. Und beim Weitererzählen der Geschichte gehen oft leider einige Details verloren. Stille Post sozusagen. Das ist natürlich ärgerlich, wenn man auf die sogenannte Wahrheit aus ist, aber zunächst steckt da kein böser, kleiner Mensch mit einer großen, bösen Absicht dahinter. Dennoch finden wir: Narrative hinterfragen ist eh eine gute Sache. Wir hinterfragen im LANGEN WEG ZUM WISSEN aber nicht unbedingt das historische Narrativ, sondern das Narrativ im Zusammenhang von Glücklichsein und Fortschritt.

Es geht auch um das Vergessen, das ein natürlicher Prozess ist, den man natürlich trotzdem verfluchen und bedauern kann. Aber das Wissen geht ja nicht verloren, nur der Zugang zu den Informationen, der Weg zum Wissen bricht ab oder geht verschüttet. Aber früher oder später kommt irgendein Kamel und frisst das Gras herunter, das über die Sache gewachsen ist. Und in der Hinsicht hat das kollektive Gedächtnis also auch utopisches Potenzial.

Im Stück sagt Buzz Aldrin ja auch: "Das find ich schön. Dass man mit dem Wissen wirklich was anfangen kann. Halt ein bisschen nett füreinander sein." Ihr selbst nennt euch »Kollektiv für angewandte Literatur«. Was kann man sich darunter vorstellen?

Zwei Frauen, die ihre Gehirne aneinander reiben, aus denen dann Texte entstehen, die wir uns auf die Hände streuen und daraus machen diese Hände dann was auf Papier. Oft tragen wir das dann ins Theater, manchmal vertonen wir sie oder machen einen Film aus ihnen. Auf jeden Fall wenden wir es an, denn Literatur, und das wissen viele nicht, kann man ganz wunderbar anwenden.

   


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DER LANGE WEG ZUM WISSEN | UA
eine theatrale Forschungsreise vom Kollektiv für angewandte Literatur ULRICHSundGROSCHEN

Text: Katharina Grosch und Emma Charlott Ulrich
Regie: Katharina Grosch 
Ausstattung: Susanne Wilk und Kathrin Sohlbach
Dramaturgie: Simone Kranz und Emma Charlott Ulrich
mit: Anna Jörgens, Gaby Pochert, Sébastien Jacoby, Raimund Widra

Uraufführung am 17. September 2023, weitere Vorstellungen am 22., 24. und 30. September, und am 6., 11., 13., 19. und 27. Oktober, zusätzliche Termine in Planung.

   


WIEDERAUFNAHMEN

Zwei unserer Lieblingsstücke (und mal ehrlich, sind sie das nicht alle?) finden im September ihren Weg zurück ins unseren Spielplan! 


DIE BETTWURST DAS MUSICAL!
von Rosa von Praunheim | Musik von Heiner Bomhardt

Regie: Paul Spittler | Ausstattung: Cleo Niemeyer-Nasser | Musikalische Leitung: Achim Schneider | Video: Leonard Koch | Dramaturgie: Gesa Oetting

mit: Christiane Motter, Laura Trapp, Jan Hutter, Thorsten Köhler, Michi Wischniowski | Band: Cordula Hamacher, Jochen Lauer, Achim Schneider

"Was bleibt, wenn man sich das Bunte wegdenkt? Und das wonnig Schrille, das Rosarote, das Exaltierte, die Engelschöre und das Höllenfeuer? Nun, dann bleibt die anrührende Geschichte zweier Menschen, aufgewachsen auf der schattigen Seite des Lebens, die jetzt nach einem Platz an der Sonne suchen – buchstäblich mit der Kraft der Verzweiflung. [...] Da kann eine Inszenierung dann beherzt mit Kitsch spielen, mit Klischees, mit Überzeichnungen, mit Plüsch und Lametta – und doch verspürt man neben dem ganzen Jux immer eine Anteilnahme, ein Mitgefühl für zwei angeschlagene Seelen."  (Tobias Kessler, Saarbrücker Zeitung vom 5. Juni 2023)

"Mit der Bettwurst hat die Sparte4 auch über diese Spielzeit hinaus ihren Publikumsmagneten gefunden!" (Burkhard Jellonek, OPUS Kulturmagazin)
   


ICH, AKIRA MONOLOGSTÜCK FÜR EINEN HUND MIT EINER FRAGE | UA
von Noëlle Haeseling und Leo Meier

Regie: Lorenz Nolting | Bühne: Martha Szymkowiak | Kostüm: Lea Jansen

mit: Verena Bukal

Wiederaufnahme am 29. September, weitere Vorstellungen am 18. und 26. Oktober und am 16. November, zusätzliche Termine in Planung. 

"Die Regie vertraut der Komik im Text, wohl wissend, dass uns das Lachen schon noch im Hals stecken bleiben wird. Und sie kann sich auf eine glänzende Darstellerin verlassen. Verena Bukal lässt mit großen, treuen Kulleraugen für die Zuschauer ein warmes Gefühlsbad ein und schüttet ihnen dann eine eiskalte Frage ins Gesicht: Soll sie ihren Papa, der so viel Unheil anrichtet, soll sie ihn...? Wäre es nicht sogar ihre moralische Pflicht? 'Ich könnte es tun, wenn er schläft'. - eine tierisch gute Uraufführung!"  (Susanne Brenner, Saarbrücker Zeitung vom 26. September 2022)

"Auf jeden Fall hat das Stück alles, findet Maureen Welter, was man von einem zeitgemäßen Theaterstück erwartet: Es ist ein bisschen unangenehm, ein bisschen verstörend, teilweise auch eklig, zudem witzig, moralisch und am Ende geht man mit Fragen nach Hause, die nachhaltig zum Nachdenken anregen." (SR2 Kulturradio)
   


 

* mit diesem E-Letter dürft Ihr natürlich machen, was Ihr möchtet, ihn drucken, löschen oder wieder und wieder lesen. Aber am schönsten wär’s doch, finden wir von der sparte4, Ihr würdet ihn und seine frohe Kunde einfach weiterverbreiten. Nur zu! Immerhin heißt das Ding ja nicht umsonst KETTENBRIEF!

 


SPIELSTÄTTE

 

sparte4

Eisenbahnstr. 22/Ecke Stengelstraße (1.Stock)
66117 Saarbrücken

Haltestelle Hansahaus/Ludwigskirche
Buslinien 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 121, 122, 123, 126, 127, 128, 12

Abendkasse 0681 9590571 
Ab einer Stunde vor Vorstellungsbeginn geöffnet.

Student*innen schauen für umsonst! 

Kostenlose Theaterkarten erhalten Studierende der Universität des Saarlandes, der HTW, der HfM Saar und der HBK Saar im Rahmen der Kooperationsvereinbarungen gegen Vorlage ihres Studierendenausweises ab drei Tage vor der Vorstellung. Ausnahmen und Sonderregelungen bitte an der Theaterkasse oder bei der jeweiligen Hochschule erfragen.

 


Impressum:

 

Redaktion: Thorsten Köhler & Luca Pauer – Künstlerische Leitung sparte4

Kettenbrief n° 1 (23/24) Der lange Weg zum Wissen: Texte von Thorsten Köhler Katharina Grosch, Emma Charlott Ulrich und Simone Kranz

Bildnachweise: Probenfotos 'Der lange Weg zum Wissen': ©Susanne Wilk; Szenenfotos 'Die Bettwurst' und 'Ich, Akira': ©Martin Kaufhold

 

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Impressum
Verantwortlich für den Inhalt des Internetangebotes der Saarländischen Staatstheater GmbH im Sinne des Telemediengesetzes (TDG): Generalintendant Bodo Busse, Kaufmännischer Direktor Prof. Dr. Matthias Almstedt | Adresse: Saarländisches Staatstheater GmbH, Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken
Karten Telefon (0681) 3092-486, Mail kasse@staatstheater.saarland | Öffnungszeiten Vorverkaufskasse: Montag bis Freitag 10 – 18 Uhr, Samstag 10 – 14 Uhr

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