Page 10 - Saarländisches Staatstheater Spielzeitheft September bis Dezember 2020
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»TROTZ ABSTAND: WIR KOMMEN IHNEN GANZ NAH!«


      ERLEBEN SIE IHR SAARLÄNDISCHES STAATSTHEATER VON SEPTEMBER BIS DEZEMBER NEU

      Von Bodo Busse, Generalintendant



                                                            Schon vor wenigen Jahren hat der deutsche Soziologe
                                                            Heinz Bude festgestellt, dass, wer unsere heutige Ge-
                                                            sellschaft verstehen wolle, die »Gesellschaft der Angst«
                                                            in den Blick nehmen müsse. Ängste dienen deshalb als
                                                            irrationale Grundlagen für politische Diskurse vor allem
                                                            der extremen oder populistischen Lager, weil Ängste uns
                                                            alle angehen und jeder für sich aus seinem persönlichen
                                                            Erfahrungsraum Angst anders bestimmt. Angst kennt
                                                            dabei ebenso wenig soziale Grenzen wie das neuartige
                                                            Corona-Virus, das seit Beginn des Jahres 2020 überall in
                                                            der Welt zum Inbegriff einer Weltgesellschaft in Angst
                                                            geworden ist. Covid-19 hat die globale Angst noch diffe-
                                                            renziert. Durch das Virus zeigt die Angst viele Gesichter.
                                                            Oder: hinter der existentiellen Angst vor Infektion und
                                                            Krankheit tauchen soziale, fi nanzielle, ökonomische, kultu-
                                                            relle, geopolitische, religiöse und ökologische Ängste auf.

                                                            KÖRPERLICHE DISTANZ HAT NICHTS MIT
                                                            SOZIALER DISTANZ ZU TUN

                                                            Und keine Angst ist unbegründet oder ließe sich zerstreu-
                                                            en. Die von den Gesundheitsbehörden und Fachkollegien
                                                            empfohlenen Hygienemaßnahmen haben außerdem eine
                                                            ganze neue Angst-Dimension eingeführt: die Angst vor
                                                            dem Anderen, dem unmittelbaren Gegenüber, der als
                                                            potentieller Überträger einer Infektion nur in »sozialer
                                                            Distanz« ungefährlich ist. Heinz Bude sieht die gesell-
                                                            schaftspolitische Dimension der Angst schon vor der
                                                            Covid-19-Pandemie: »Die Gesellschaftsmitglieder verstän-
                                                            digen sich in Begriffen der Angst über den Zustand des
                                                            Zusammenlebens: Wer weiterkommt und wer zurück-
                                                            bleibt; wo es bricht und wo sich schwarze Löcher auftun;


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