Diesen KETTENBRIEF im Browser ansehen

sparte4 KETTENBRIEF

Logo sparte4

DER sparte4 KETTENBRIEF*:

n° 5 (22/23): OH, MAMA! ­­- MANCHMAL SITZE ICH ZUHAUSE UND GOOGLE MEINE KINDER

   

MÄGDE! BUBEN!

Jetzt mal Tacheles und ran an die Buletten!

Denn seit dem vergangenen Wochenende bereichert unsere neueste Uraufführung den Spielplan mit einer wirklich drängelnden Debatte im Grenzgebiet zwischen Mythos und Logos, zwischen einerseits dieser seltsamen Überhöhung und Verklärung jener doch nahezu immer der Frau zugeschriebenen Rolle einer Mutter und der andererseits dann doch oft maßlos enttäuschenden Realität im Hinblick auf gelebte kollektive Unterstützung.

Ich kenne, glaub ich, sehr viele Väter, die sagen, "wir haben eine faire Aufgabenteilung." Und ich kenne sehr viele Mütter dazu, die sagen, das stimmt nicht.**

Und wir wissen jetzt, wovon wir da sprechen, haben Regisseurin Rebekka David und die das Bürger:innenensemble ensemble4 anleitende Theaterpädagogin Luca Pauer doch in unzähligen Interviews mit Frauen diese gelebte Reibung untersucht und auch bestätigt bekommen (** einige im Stück verwendete Originalzitate von Müttern sind hier im Text hervorgehoben). Zu Wort kamen dabei glückliche und unglückliche Mütter, aber auch erklärte Nicht-Mütter und Frauen, die sich über keine Kategorie erfassen lassen wollen. Sie alle eint die Kritk an den Um- wie Zuständen gelebter Mutterschaft: 

Ich denke, es ist schwerer, auf jeden Fall, mit Kind als ohne Kind gleichberechtigt zu leben.**

 


Ab dem Moment, wo eine Frau schwanger ist, gibt es plötzlich ein öffentliches und ein gesellschaftliches Interesse am Körper der Frau, dass ich zumindest vorher so noch nie erlebt habe.**

Will ich freiwillig immer alles und zwar immer? Bewußtsein zu schaffen für Erwartungshaltungen und Zuschreibungen, und den Komplex Frausein und Mutterschaft kollektiv zu durchleuchten, darum geht es in dem Rechercheprojekt OH, MAMA! Entstanden ist eine unterhaltsame Mischung aus dokumentarischer Recherche im Öffentlichen wie Privaten, gepaart mit einer fiktionalen Ebene durch ein Spielensemble diverser Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttinnen der Antike: Gaia, Athene und Aphrodite sowie der Urmutter Magna Mater. Mit dem Olymp als Spielort, wo die Götter zentralisiert über den Dingen schweben und kontemplativ ihre Beete beackern. Care-Arbeit auf göttisch. Doch Gaia, die personifizierte Erde, Athene alias Dr. A. Thene, die Göttin der Weisheit und des Kampfes, sowie Aphrodite, die schaumgeborene Göttin der Liebe, Schönheit und der sinnlichen Begierde und Magna Mater, die Urmutter, sind gedanklich angestrengt mit ihrem Status als weibliche Gottheiten befasst. Mit dem Für und Wider eben von Mutterschaft. Dem nicht zu bändigen und absolut zu vertrauenden Körper. Den Ansprüchen, die ein Außen zeitlebens und für alle Ewigkeit an sie gestellt hat. Und auch damit, dieses Außen aus ihren weiblichen Bedürfnissen in Gänze herauszuhalten. Gar nicht unähnlich dem menschlichen Treiben auf Terra. Finden sie. Und finden wir. Die Diskurse sind dabei erdrückend bis befreiend und gehören unerhörterweise in eine nach wie vor patriarchal strukturierte, am flexiblen Mann ausgerichtete Welt. Finden sie. Finden wir. Hier den eigenen Standpunkt auszuloten und sich in Anbetracht schier unbegrenzter Auslegungsmöglichkeiten von Mutter- oder Elternschaft als Teil eines weiter gefassten Spektrums zu begreifen, ist da gar nicht so einfach. Und so beackert man in einer Art Kooperative friedlich den gemeinsamen Garten und tauscht sich über Einstellungen, Erfahrungen und den neuesten Gossip aus: "welche sind denn jetzt die echten Kinder von Angelina und trug Rebels Spross nicht sowieso eine Leihmutter aus?" Ein Reigen an Haltungen beginnt, aus dem sich eine radikal vielstimmige und bisweilen sehr humorvolle theatrale Reflexion über weibliche Existenzforderungen entspinnt. Weil, sind wir doch mal ehrlich: 

'ne Form von Anerkennung kommt da wenig.**
 

Ich weiß nicht, ich mein's ernst, wie man es schafft. Ich habe keine Ahnung.**

Allerorten ist von der Erschöpfung der Frauen die Rede. Sie mag viele Gründe haben, aber im Komplex, in der Beschäftigung mit Mutterschaft und den damit verknüpften Rollenerwartungen, sprich in der eigenen Haltung im krassen Kontrast zu gesellschaftlichen Entwürfen innerhalb eines weniger sozial als ökonomisch ausgelegten Systems, liegen sie sicher zuhauf. Reproduktion, weibliche Lust, Rollenerwartungen, ökonomische Realität, Biologie - Mutterschaft als brisantes Überthema. Dröhnend schallen die übergriffigen Kommentare durch Medien, Alltag und selbst durch aufgeklärte Diskurse. Öffentliche Zuschreibungen sind an der Tagesordnung, und nicht selten resultiert daraus seitens der Frauen eine Überforderung, diesen Anforderungen gerecht zu werden, oder ein immenser Druck, sich ständig und immer für diversere Lebensentscheidungen rechtfertigen zu müssen. Und sind wir ehrlich: das Frauenbild hat sich seit Hitlers "wichtigster Bürgerin im Staat", der teutschen Mutter, die durch Geburt und Aufzucht den "gesunden Volkskörper" zu garantieren hat, nicht maßgeblich verändert. Die Frau und ihr Unterleib als "Reproduktionsapparat" gehören nach wie vor der Politik, und der in den Vereinigten Staaten geführte "heilige Krieg" zwischen Republikanern und Demokraten um Recht auf oder Unrecht von Abtreibung zeigt doch ganz deutlich, dass wir in Fragen der ideologischen Ausbeutung am Frauenkörper nicht wirklich weiter gekommen sind.   

"Also du hättest ja auch keine Kinder haben müssen. Bist ja ein bisschen selber schuld."**

Also ja oder nein zur Mutterschaft? Früher oder später im Leben stellt Frau sich diese Frage. Und es ist mitunter keine einfache, denn nicht selten gleicht sie eher einer Konfrontation mit intimsten Wünschen, mit Lebensrealitäten, Rollenbildern und gesellschaftlichen Erwartungen. Spätestens hier prallt Individuum mit Gesellschaft zusammen, spätestens hier offenbart sich, wie tiefgreifend der weibliche Körper gesellschaftspolitisch verhandelt wird – und mit ihm die gesamte weibliche Biografie, deren biologische Disposition sich stets an der Schnittstelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit abarbeitet und nicht selten ohne Rechtfertigungsdruck auskommt. Ein stetes Abgleichen der eigenen Haltung zum Komplex Frausein/Mutterschaft/Gesellschaft ist weibliche Realität - vom dogmatischen Stillen, den manchmal fürsorglichen, manchmal grenzüberschreitenden Blicken auf die Qualität der eigenen "Erziehungsarbeit", über überholte und unmöglich zu leistende Arbeitszeitmodelle bis hin zur steten Rechtfertigung und Behauptung der eigenen, der weiblichen Lust. "Immerhin:", bemerkt Athene trocken, "die erste wirklich exakte anatomische Darstellung der Klitoris stammt von 1998! Im Vergleich: Im selben Jahr kam Viagra auf den Markt!"  

... [und] tangiert doch den Vater eigentlich gerade auch. Oder den Mann genauso. Warum werden mir jetzt diese Frage gestellt? Warum soll ich das gerade lösen? Warum wird mir das Problem vorgestellt? Ist doch nicht nur mein Problem.**

Welche neuen Betrachtungen und Wege sind Frau im Ausleben ihrer diversen Rollen also möglich? Und sind sie ihr überhaupt möglich? Und falls nein, warum eigentlich nicht? Und wie lässt sich mehr Akzeptanz für die Belange von Familien und im Speziellen von Müttern schaffen? Fragen, die uns letztendlich alle etwas angehen sollten.

 


REBEKKA DAVID, geb. 1993 in Leipzig, studierte Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Assistenzen und Hospitanzen am Theater Basel, dem Deutschen Theater Berlin und der Oper Leipzig. Ihre Arbeiten sind und waren u.a. am Staatstheater Hannover, Staatstheater Braunschweig, Volkstheater Rostock, Theater Osnabrück, Deutschen Theater Berlin, Schauspiel Dortmund, Theater Basel und dem Saarländischen Staatstheater zu sehen. Ihre Inszenierungen wurden zu mehreren Gastspielen und Festivals eingeladen, u.a. zum Körber Studio Junge Regie, zum Theatertreffen deutschsprachiger Schauspielstudierender und zur Woche junger Schauspieler*innen. Außerdem gibt sie Workshops zum Thema Sexismus und Gender, inszeniert an Schauspielhochschulen und produziert Hörspiele für den DLF und den SWR, u.a. 2021 DIE WELT IM RÜCKEN von Thomas Melle. 2022 erhält sie für DER TERMIN nach dem gleichnamigen Roman von Katharina Volckmer den Deutschen Hörspielpreis der ARD. Sie ist Alumna der Studienstiftung des Deutschen Volkes.

LUCA PAUER studierte Theater- und Medienwissenschaft und Pädagogik an der FAU Erlangen. Bereits vor und während des Studiums betreute sie Produktionen und theaterpädagogische Projekte am Landestheater Coburg. Während ihrer praktischen Ausbildung zur Theaterpädagogin an der Theaterwerkstatt Heidelberg assistierte sie Beata Anna Schmutz bei ihrer Produktion HAMLET, die 2013 zum Theatertreffen der Jugend in Berlin eingeladen wurde. Dem daraus hervorgegangenen Kollektiv Rampig e.V. ist sie noch bis heute als Vorstandsmitglied eng verbunden. Aus dieser Erfahrung ging insbesondere ihr partizipativer und performativer Ansatz als Theaterpädagogin und Regisseurin hervor. Zusammen mit Thorsten Köhler gründete sie 2015 das Netzwerk REFUGIUM THEATER, das Theaterzuschauer und Geflüchtete in Workshops und Aktionen miteinander in Kontakt kommen lässt. Seit der Saison2017/18 bildet sie neben ihrer Tätigkeit als Leiterin des Jungen Staatstheaters mit Köhler die künstlerische Leitung der sparte4 am Saarländischen Staatstheater. In der gleichen Spielzeit gründet sie das bis heute bestehende ensemble4 als Bürger:innen-Ensemble des Staatstheaters.

Das ENSEMBLE4 bringt sich mit ihren Expertisen zum Thema ein – Sichtweisen aus der Mitte der hiesigen Stadtgesellschaft finden so Eingang in die jeweilige Produktion. Die Mitglieder des ensemble4 treffen sich einmal im Monat zur Planung eigener Projekte. Formieren soll sich eine Gruppe, die neben eigenen Produktionen auch Bürgerchöre im Abendspielplan stellt. Das ensemble4 ist der Expert:innenrat des Saarländischen Staatstheaters und vertritt die Stimme der Gesellschaft. Bisherige Produktionen waren u.a. JENSEITS VON FUKUYAMA (2017/18) und zuletzt KUCKUCKSKINDER (2021/22) in der sparte4, und DANTONS TOD (2018/19) oder DER BESUCH DER ALTEN DAME (2021/22) im Großen Haus.

 


Plus:

Im Rahmen der die Inszenierung begleitenden ensemble4-Workshops formulierten saarländische Mütter einen Forderungskatalog an die Gesellschaft und die Politik. Alle Forderungen könnt ihr auf dem BLOG des Saarländischen Staatstheaters nachlesen:

https://blog.staatstheater.saarland/die-forderungen-der-muetter/


Und das sagt die Kritik:

"Der bissige Humor und die wahnsinnig guten Monologe reißen mit. Uneingeschränkt empfehlenswert, und das nicht nur für Frauen!" - Oliver Sandmeyer, Saartext
 



OH, MAMA! MANCHMAL SITZE ICH ZUHAUSE UND GOOGLE MEINE KINDER | UA
von Rebekka David und Ensemble | In Zusammenarbeit mit dem ensemble4

Regie und Bühne: Rebekka David; Kostüme: Therese Witt; Video: Florian Kiehl; Musik: Camill Jammal; Choreografie: Johanne Lemke; Dramaturgie Bettina Schuster-Gäb; Leitung ensemble4: Luca Pauer

mit Verena Bukal, Johanna Lemke, Hannah Schutsch und Silvio Kretschmer; darüber hinaus mit Rebecca Behnamed, Ina Blankers, Fernanda Farah, Gina Henkel, Judith Hofmann, Julianna Kazan, Teresa Monafred, Neele Schäfer, Sonja Spang und Alina Stiegler

weitere Vorstellungen am 27. und 28. Januar, am 9., 10. und 11. Februar und am 15. und 16. April 2023 (weitere Aufführungsstermine in Planung) 
 


   
* mit diesem E-Letter dürft Ihr natürlich machen, was Ihr möchtet, ihn drucken, löschen oder wieder und wieder lesen. Aber am schönsten wär’s doch, finden wir von der sparte4, Ihr würdet ihn und seine frohe Kunde einfach weiterverbreiten. Nur zu! Immerhin heißt das Ding ja nicht umsonst KETTENBRIEF!

** alle Zitate stammen von für OH, MAMA! interviewten Müttern. 
   



IMPRESSUM

 

Redaktion: Thorsten Köhler, Luca Pauer – Künstlerische Leitung sparte4

Kettenbrief n° 4 (22/23): "OH, MAMA! - MANCHMAL SITZE ICH ZUHAUSE UND GOOGLE MEINE KINDER":  Text von Bettina Schuster-Gäb und Thorsten Köhler

Bildnachweise: © Szenenfotos von 'Oh, Mama!': Astrid Karger

 


SPIELSTÄTTE

 

sparte4

Eisenbahnstr. 22/Ecke Stengelstraße (1.Stock)
66117 Saarbrücken

Haltestelle Hansahaus/Ludwigskirche
Buslinien 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 121, 122, 123, 126, 127, 128, 12

Abendkasse 0681 9590571 
Ab einer Stunde vor Vorstellungsbeginn geöffnet.

Student*innen schauen für umsonst! 

Kostenlose Theaterkarten erhalten Studierende der Universität des Saarlandes, der HTW, der HfM Saar und der HBK Saar im Rahmen der Kooperationsvereinbarungen gegen Vorlage ihres Studierendenausweises ab drei Tage vor der Vorstellung. Ausnahmen und Sonderregelungen bitte an der Theaterkasse oder bei der jeweiligen Hochschule erfragen.

 

Logo sparte4 | Saarländisches Staatstheater

Impressum
Verantwortlich für den Inhalt des Internetangebotes der Saarländischen Staatstheater GmbH im Sinne des Telemediengesetzes (TDG): Generalintendant Bodo Busse, Kaufmännischer Direktor Prof. Dr. Matthias Almstedt | Adresse: Saarländisches Staatstheater GmbH, Schillerplatz 1, 66111 Saarbrücken
Karten Telefon Vorverkauf (0681) 3092-486, Abonnement (0681) 3092-482, Mail kasse@staatstheater.saarland | Öffnungszeiten Vorverkaufskasse: Dienstag bis Freitag 10 – 18 Uhr, Samstag 10 – 14 Uhr, Telefonisch auch montags 10 – 16 Uhr.

Du erhältst den sparte4 KETTENBRIEF unter der E-Mail Adresse ###USER_email###.
Wenn Du den sparte4 KETTENBRIEF nicht mehr erhalten möchten, bitte diesen hier abbestellen