Der Traum von der Revolution, er lebt!
Was tut man als Künstler der 2020er, um seine Musik unter die Leute zu bringen?! Man gründet ein Imperium, kuratiert eine Kunstaustellung, bespielt die Club-, Festival- und Theaterbühnen, und veranstaltet ein Spektakel von YouTube-Kanal über Insta-Storys bis ins klassische Feuilleton hinein.
Kostprobe bei Youtube:
David Julian Kirchner - GLAS
David Julian Kirchner (& die IG-POP) zum Mitsingen! - BRÜDER, ZUR SONNE, ZUR FREIHEIT!
David J. Kirchner mit seiner Company KIRCHNER HOCHTIEF ist ein Produkt des age of financialization. Die Range reicht dabei von »hoch« wie in Hochkultur bis zu »tief« wie in Underground, weil: »Ideen tropfen schon immer von der Hochkultur in die Subkultur, kondensieren und wandern wieder zurück in den Himmel«, so CEO, Bandleader, Public Intellectual und Künstler David J. Kirchner zum sonderbaren wie griffigen Projektnamen, bei dem wir zunächst weniger an Pop-Musik als an gigantische Bauprojekte von Europa bis Asien denken. Zuletzt arbeitete Kirchner nicht minder megaloman neben der Albumproduktion seines aus KIRCHNER HOCHTIEF hervorgegangenen Bandprojekt IG-POP und einer zugehörigen Ausstellung an seiner eigenen Radioshow (K-FM), wurde Präsident der neuen Wrestling-Liga KWF, hat eine Basketballmannschaft für Rothaarige gegründet (die Bowlers), ist Betreiber eines Restaurants (SeroToni) und eines Nachtclubs (Mode und Verzweiflung), Programmchef und Besitzer des TV- Senders KHT-V und launchte den Streamingdienst Hochtief. Kirchner selbst ist dabei stets der Typ kosmopolitischer Unternehmer geblieben, dem wir in diesen Zeiten bis in höchste politische Ämter hinein vertrauen: »Ich kenne das Leben, ich bin im World Wide Web gewesen.«
Musikalisch klingt bei KIRCHNER HOCHTIEF die Hamburger Schule durch, die bekanntlich einst vom Popjournalisten Thomas Gross in der TAZ auf die FRANKFURTER SCHULE gemünzt wurde. Kirchner wuchs in Mainz als Sohn eines Komponisten und einer Bildenden Künstlerin auf, nach deren Trennung er Musik und Kunst in seinem Schaffen wieder und wieder zu vereinen sucht. Getrieben von dieser Vision will er sich in den nächsten Jahren mit (s)einer erstaunlichen Produkt-Palette in alle Branchen hinein bewegen.
Wie schon viele Pop-Päpste vor ihm (etwa Warhol oder Kurzweil) hat auch CEO Kirchner den Glauben an die Unsterblichkeit for everyone noch längst nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil: dieser Glaube treibt ihn täglich an. Denn Pop, so Indivdualist Kirchner, »muss heute horizontal und vertikal radikal neu gedacht und gemacht werden.« Für nichts anderes steht KIRCHER HOCHTIEF. Über Kirchners bei Staatsakt veröffentlichtes Debütalbum IG-POP und seine fulminante Live-Band gleichen Namens heißt es: Nie klang Heinrich Heine so funky, Bertolt Brecht so pop, Erich Weinert so aktuell! Das solidarische Bündnis bestehend 2 Girls und 2 Boys vertritt alle Solo-Selbstständigen und kreativen Kulturarbeiter*innen bzw. die Sehnsucht: raus aus der Zwangsindividualisierung! Man traut sich den Klassenkampf in den Mittelpunkt einer Pop-Performance zu stellen.
Die IG-POP ist also halb Pop-Gewerkschaft, halb Pop-Band. Und die fordert auf zum Tanz. Und zum Protest. Alles im Spannungsfeld zwischen Arbeit und Pop. Es gibt Neuinterpretationen altbekannter Arbeiterlieder, vom »Einheitsfrontlied« bis zur »Internationale«. Dazu Titel aus Kirchners eigener Feder, von der IG-POP-Gewerkschaftshymne bis zum Verwaltungsschlager. Auf den Pfaden von Devo, Billy Bragg, Degenhardt, den Sternen und Heaven17 schafft Kirchner ein schlüssiges Gesamtkonzept, das aber auch als mitreißender Pop-Act funktioniert.