Die Politiker
Traditionell betrachtet ist der Beruf des Politikers der einsamste Job der Welt. Zugegeben, man rottet sich in Herden ähnlicher politischer Ausrichtung zusammen, die man dann Parteien nennt, trifft sich zum Aasen in der sogenannten Parteienlandschaft und schwört auf Herdentrieb und Fluchtreflex, denn: Die Großwildjagd auf ihn, den Politiker, ist ganzjährig eröffnet. Im dichten Dickicht des Internets liegen wir auf der Lauer, die Jäger, das Volk, und warten, unsere Politikverdrossenheit im Anschlag.
Wir wissen alles über ihn, den Politiker, denn der Informationsfluss im Netz ist ein reißender Strom, laut, stark und gewaltig. Wir wissen, dass Politiker der Meinung sind, uns wäre es noch nie so gut gegangen. Wir wissen auch, dass Politiker seit 2019 erstmals über 10.000 Euro im Monat bekommen, und wir von vier Euro am Tag gut leben können, denn die Politiker haben es uns vorgerechnet. Wir wissen, dass die Politiker Faschisten sind, und wir sie auch so nennen dürfen, das hat uns ein Gericht erlaubt. Wir wissen, dass die Politiker Linksextremisten sind, mit denen sich Zusammenarbeit verbietet. Wir wissen, dass manche Politiker »weg müssen«, weil einige Mitbürger nicht müde werden, genau das immer wieder zu skandieren oder auf Schilder zu malen, die sie vor sich hertragen. Und leider wissen wir mittlerweile auch, zu welchen »Mitteln« gegriffen wird, um politischen Willen durchzusetzen: Online- Hatespeech, Demos, Ausschreitungen, ein Pistolenschuss auf der Terrasse eines Einfamilienhauses, oder, um mit Shakespeare zu sprechen, der Dolch unter der Tunika auf den Stufen zum Kapitol. Hallali!
Wolfram Lotz hat ein Stück über die Politiker geschrieben, ein Gedicht vielmehr, hochrhythmisiert, dadaistisch, das er ein »Selbstgespräch am offenen Fenster« genannt hat. Dabei hat er dem Politiker sinnfreie Handlungen und Eigenschaften zugeschrieben, manchmal emotional, manchmal ohnmächtig, angsteinflößend und irritierend, aber immer im Hinblick darauf, dass er eben auch nur eines ist: ein Mensch. Ein Freund. Ein Mitbürger. So wie du und ich.
Inszenierung
Mark Reisig
Bühnenbild und Kostüme
Viviane Niebling
Musik
David Rimsky-Korsakow
Dramaturgie
Simone Kranz
Licht
Kai Becker Nico Paulus
EMPTY
Mirjam KuchinkeSilvio Kretschmer
«Reisig inszeniert Lotz' Theatergedicht als Stück für zwei Schauspieler. Kretschmer und Kuchinke spielen die repetitivenWortkaskaden intensiv und herausfordernd, sind jedoch immer bravourös. Die Textfülle, der Metaphernreichtum sowie der schnelle Wechsel zwischen Trivialem und Existenziellem machen das
Stück schwer greifbar und oftmals überfordernd. Gerade darum: lohnenswert!»
SAARTEXT, 21. Oktober 2020, Oliver Sandmeyer
»Für die exzellenten Darsteller, die im Wechsel den Autor des Textes spielen, ist das ein Fest. Kretschmer agiert im weiten Feld zwischen ruhiger Zufriedenheit und Hysterie, Lachkrampf und Verzweiflung […]; Kuchinke gibt wunderbar den Autor, der sich durch die eigenen Einfälle kämpft, mitgerissen wird vom eigenen Gedankenstrom. Die ironischen Solotänze der beiden zu Roy Blacks Über-Schnulze ›Lass die Frau, die Du liebst, niemals weinen‹ sind ein Körperkomik-Kabinettstückchen.«
Saarbrücker Zeitung, Tobias Kessler